Wohlstandsspeck, Übergewicht, Adipositas - eine fragwürdige Karriere

Adipositas - klingt nach Krankheit, aber was bedeutet das eigentlich? Prinzipiell sprechen wir von Übergewicht. Das ist ein recht dehnbarer Begriff und wir können uns die körperliche Konstitution unserer Tiere immer ein wenig schön reden.... Hat das Tier mehr als 10% seines Idealgewichtes auf den Rippen, ist es übergewichtig. Adipositas ist dann noch etwas extremer - hier liegt das Tier mehr als 20% über seinem Idealgewicht. Das ist tatsächlich keine Seltenheit in unserem Praxisalltag! Denken wir an einen großen Labradorrüden, der mit 30 kg eine gute Figur abgeben würde, auf unserer Waage aber satte 36kg angezeigt werden. 

In diesem Artikel geht es definitiv nicht um Schönheits- oder gar Rasseideale (das vermischt sich ja oft miteinander), sondern um Gesundheit und Gesundheitsvorsorge. Wir wollen die Fakten auf den Tisch legen und mit uns als Tierarzt und Tierbesitzer hart ins Gericht gehen.

 

Wie ist also die aktuelle Lage? Rein subjektiv schlecht. Ich rede mir Woche für Woche den Mund über das Thema Gewichtsreduktion fusselig und am Ende habe ich das Gefühl, meine Patienten werden nicht schlanker.

 

Warum ist das so?

  • Füttern macht Spaß! Freut sich der Vierbeiner, freut sich der Zweibeiner gleich umso mehr...
  • Unsere vierbeinigen Freunde haben Zeit.... Geduldig fordern sie Futter und/oder Leckerlis ein, sie haben ja keinen anderen Termin in Kalender stehen. Und es ist so vermaledeit schwer, zwei bettelnden Kulleraugen die kalte Schulter zu zeigen....
  • Füttern verbindet: Beim Füttern kommt es beim Hund zu einer positiven Verknüpfung von Futter (und Futter ist immer gut!) mit Frauchen oder Herrchen. Das festigt die Beziehung.
  • Hat ja keiner gesehen.... Tierärztin und Waage sind weit weg und das Resultat des Verwöhnens kann tapfer ignoriert werden.

Da haben wir also den Salat: Unser tierischer Mitbewohner ist zum Speckröllchen geworden! 

 

Sie fragen sich sicher nach den Ursachen! Die Antwort ist zunächst ganz einfach: zu viel und/oder zu energiereiches Futter. That´s it! Natürlich muss ich als Tiermedizinerin auch auf andere Ursachen aufmerksam machen. Wir hätten da die Schilddrüsenunterfunktion bei Hunden (oder auch mal bei Katzen - bisher unterschätzt!), Stoffwechselerkrankungen wie das Cushing-Syndrom oder Dauermedikationen mit Kortison, aber im Grunde sind diese Fälle so absurd selten, dass ich sie in diesem Artikel vernachlässigen werde.

 

Was hat das Übergewicht für Folgen?

Fettgewebe ist kein totes Gewebe. Es ist hormonell aktiv und bringt zusätzliches Gewicht in und um den Körper. Verschiedene Organ- uns Funktionssysteme des Körpers reagieren auf dieses "Zusatzpäckchen". Und was wir nicht vergessen dürfen: der sichtbare Speck ist nur die Spitze des Eisberges! Im Bauchraum  gibt es Fettdepots, die mit zunehmendem Körpergewicht ebenfalls stetig wachsen. Das kann krank machen! Hier ein paar Beispiele:

  • Diabetes mellitus ist besonders bei Katzen vertreten, die übergewichtig sind (bei Hunden auch, aber seltener). Die Gewichtsabnahme ist eine präventive Maßnahme. Wenn Ihre Mietz zuckerkrank ist, ist es zu spät. Dann müssen Sie zu Hause alle 12 Stunden Insulin spritzen und werden zum Dauergast beim Tierarzt zu Blutzuckerkontrollen und Co. 
  • Harnabsatzstörungen verbunden mit chronischen Blasenentzündungen kommen meist bei übergewichtigen Katern vor, vor allem, wenn die Kater zu Hause zum Couchpotato werden und nicht rausgehen (hier entwickelt sich schnell ein Teufelskreis -> weniger Bewegung -> Gewichtzunahme -> weniger Bewegung etc.)
  • Krankheiten des Bewegungsapparates werden durch Übergewicht einfach schlechter. Ein Ellbogengelenk mit ED (Ellbogengelenksdysplasie) oder ein Gelenk mit Arthrose entzündet sich einfach schneller, wenn es überlastet ist. Und vielleicht reißt das Kreuzband, das schon degenerativ verändert ist, früher und es kommt zur OP. Nach orthopädischen Operationen winkt eine Ruhigstellungsphase von mehreren Wochen. Was passiert in dieser Zeit? Die meisten Hunde nehmen noch weiter zu und bauen Muskelgewebe ab. Nicht gut!
  • Übergewichtige Katzen, die aufgrund irgendeiner anderen Erkrankung nicht fressen, bekommen nach ca. 3 Tagen eine so krachende Leberverfettung, dass diese ihnen das Leben kosten kann. Der Ausdruck "Reserve für schlechte Zeiten" trifft also in keinster Weise zu, im Gegenteil!
  • Übergewichtige Tiere haben eine geringere Lebenserwartung. Durchschnittlich leben sie 20% kürzer als normalgewichtige Tiere (Kealy et al., 2002). Ist das zu fassen? Wenn Sie das nicht von der Notwendigkeit der Gewichtskontrolle überzeugt, dann fällt mir auch nichts mehr ein....

Nun wollen wir ja konstruktiv sein. Was sind unsere vermeintlichen Lösungsansätze?

  • Mehr Bewegung? Katzenbesitzer neigen sicherlich dazu, diesen Absatz zu überspringen.... Also, liebe Hundebesitzer: Ich muss Sie ein wenig enttäuschen und Ihre Erwartung, was die Gewichtsreduktion durch vermehrte Bewegung angeht, dämpfen.

An zwei Schräubchen lässt sich beim Thema Bewegung drehen:

Bewegungszeit und -intensität.

Viele, wenn nicht die meisten Hunde, die an Übergewicht leiden, sind so dick, dass ein gesteigertes Fitnessprogramm den Bewegungsapparat komplett überfordern würde. Diese Patienten würden unter einer Steigerung der Belastungsintensität möglicherweise leiden und körperliche Schäden davontragen (Überlastung der Gelenke). Eine moderate Steigerung der Bewegungszeit wäre möglich. Ohne stärkere Herz-Kreislaufbelastung werden allerdings kaum mehr Kalorien verbraucht. Die normale Gassirunde wird nicht plötzlich zum Energiefresser, wenn man sie etwas verlängert.

  • Wir müssen also ans Futter ran! Es hilft nichts....

Naheliegende Überlegung: wir reduzieren die Futtermenge. Ja, ganz klar, daran führ kein Weg vorbei. Und selbstverständlich müssen wir das Futter abwiegen - grammgenau! Einmal am Tag die komplette Ration abgefüllt, ist es ein leichtes für alle Familienmitglieder nachzuvollziehen, wer schon wieviel gefüttert hat und wenn die Dose leer ist, na dann wars das halt leider.

Aber wieviel sollen wir nun geben? Der Energiebedarf ist von Tier zu Tier unterschiedlich, je nachdem wie die Veranlagung (genetische Prädisposition) ist und ob das Tier beispielsweise kastriert ist oder nicht. Die Energiedichte, also der Kaloriengehalt, variiert zudem von Futter zu Futter. Ich kann in der Sprechstunde also wenig damit anfangen, wenn mir der Besitzer sagt "Ich geb nur 200 g!". Wir müssen uns also auf die Angaben der Hersteller verlassen. Diese möchten selbstverständlich, dass der Futtersack möglichst schnell leer wird und Sie Nachschub kaufen müssen - das bringt Umsatz (Sie füttern also nicht nur Ihren Vierbeiner, sondern auch die Futtermittelindustrie). Das hat natürlich zur Folge, dass die Mengenangaben auf der Verpackung immer recht üppig ausfallen. Sie wissen, wieviel Ihr Tier wiegt, dürfen aber natürlich nicht für dieses aktuell zu hohe Körpergewicht füttern. Ein Zielgewicht bzw. ein Idealgewicht muss bestimmt werden. Dafür benötigen Sie die Hilfe von uns Tierärzt*innen! Es reicht nicht aus, zu sagen "Na, zwei Kilo runter wären schon toll..."! Wir brauchen ein Idealgewicht, um eine vernünftige Rationsberechnung durchzuführen. Sie haben also ein fachlich fundiertes Idealgewicht vorliegen und stehen zu Hause vor der Futterpackung. Die Mengenangaben für das Zielgewicht unterscheiden sich jetzt sicherlich noch einmal von der bisher gefütterten Menge - der Napf wird zusehends leerer.... Und trotzdem: wir befinden uns jetzt in einem Futterbereich, der zum Gewichtserhalt geeignet wäre, nicht unbedingt zur Gewichtsreduktion. Dafür müssen wir die Menge nochmal auf 60-70% reduzieren! Und jetzt sieht es richtig traurig aus in der Futterschüssel, stimmt´s?  Willkommen an der ersten Hürde!

Wir stehen aber vor noch einem Problem: normale Futtermittel sind nicht für die Gewichtsabnahme konzipiert. Ihr Vierbeiner nimmt also nicht nur 60% seines Energiebedarfs zu sich, sondern auch nur 60% aller guten Nährstoffe (Mineralstoffe, Jod, Vitamine etc.). Dauert die Abspeckperiode also ein paar Monate (langsame Gewichtsreduktion ist das, was wir erreichen wollen), wäre eine Mangelernährung die Folge. Das möchten wir nun wirklich nicht! Um dieses Problem zu lösen, gibt es spezielle medizinische "Diät--Futtermittel" zur Gewichtsreduktion. Diese sind kalorienärmer, versorgen unsere Tiere aber trotzdem mit allen Nährstoffen, die der Körper braucht. Ich erlebe in der Praxis immer wieder eine große Skepsis gegenüber diesen von mir empfohlenen Futtermitteln. Die meisten Tierbesitzer haben ihr Futter entweder aus irgendeiner Überzeugung heraus gekauft (nur das beste Futter für die Miezi!) oder weil es günstig ist (das sind die medizinischen Diäten leider nicht). Beides ist aber kein Grund, nicht einfach mal für eine gewisse Zeit umzustellen und dadurch erfolgreich mit der Gewichtsabnahme zu sein! Lassen Sie sich also ruhig mal auf eine tierärztliche Empfehlung ein. Es könnte der Schlüssel zum Erfolg sein.

Nun sind wir also auf Kurs mit der Grundration Futter. Aber was ist mit den ganzen kleinen leckeren Dingen, die es über Tag noch so für Wauzi gibt? Eine Kaustange zur Beschäftigung, wenn Frauchen arbeiten geht, ein Stück Leberwurstsemmel, wenn Herrchen Brotzeit macht, ein Schuss Leinöl fürs Fell und ein Ei für weiß-nicht-was und auf dem Hundeplatz werden die Käsewürfel aus der Tasche geholt. Und nicht zu vergessen, die Leberwurst, um das Futter erst richtig schmackhaft zu machen. "Sonst frisst er es nicht..." Hab ich das gerade ein kleines Schmunzeln bei Ihnen gesehen? Sie wissen also wovon ich rede! Keine Scheu, wir sind ja unter uns und sich selbst eine Schwäche einzugestehen hat noch keinem geschadet. Also: ja, Leckerlis und  Co müssen weichen oder tapfer in die Ration mit eingerechnet werden. Dabei muss uns bewusst sein, dass jedes Leckerli dafür sorgt, dass unser Tier weniger satt wird (weil dadurch weniger Futter gegeben werden darf). Alles verbieten ist sicherlich keine Lösung. Ein Ersatz der Kalorienbomben durch Diätfutter ist aber durchaus möglich. Schmeißen Sie Ihre Gewohnheiten nicht über Bord, sondern tricksen Sie ein bisschen. Wenn Ihr Hund gewohnt ist, etwas vom Tisch zu bekommen, dann stellen Sie sich eine dekorative Dose mit Trockenfutter neben ihren Teller. Er bekommt etwas, aber eben sein Futter. Funktioniert, Sie werden sehen! Und anstatt eines Kauknochens, gibt es jetzt einen Kong oder Futterball, gefüllt mit - Sie ahnen es bereits - seinem Futter. So wird die Situation Stück für Stück übersichtlicher. Endlich wissen wir, was unser Tier am Ende des Tages alles gefressen hat und können diesmal mit Bestimmtheit sagen "So viel kriegt er doch  gar nicht!".

 

Alles, was ich bis hierhin in meine Tastatur gehackt habe, durften sich meine Kunden schon hundertfach in der Sprechstunde anhören. Wieso aber kommen so wenig Besitzer nach ein paar Wochen mit einem erschlankten Tier zu uns in die Praxis zurück? Mache ich etwas falsch? Eine selbstkritische Fehleranalyse:

  • Bin ich zu streng? Habe ich so geschimpft, dass Sie sich nicht mehr zu mir trauen? Das möchte ich nicht! Es geht mit immer nur um das Wohl und die gesunde Zukunft Ihres vierbeinigen Familienmitgliedes. Schönreden möchte ich aber auch nichts, das Problem klein zu reden macht es ja nicht besser. Ein Eingehen auf Ihre individuelle Situation ist mir wichtig und unumgänglich. Wir müssen zusammenarbeiten!
  • Aus den Augen, aus dem Sinn. Bin ich zu wenig präsent? Ich biete wirklich jedem Kunden an, uns ohne Termin in der Praxis zu besuchen, um die Waage zu nutzen. Die wenigsten tun das. Eine Überlegung wäre also, etwas verbindlicher zu sein und aus einem "Sie können Wauzi gerne jederzeit bei uns wiegen." ein "Wir machen einen Kontrolltermin in 2 Wochen!" zu machen. Anscheinend bin ich da zu zurückhalten, möchte nicht aufdringlich wirken. Aus diesem Grunde haben wir das Diät-Programm Speck-weck entwickelt, das jeden Tierbesitzer mit seinem Tier für einen Zeitraum von 2 Monaten begleitet und im 2-wöchigen Abstand Kontrollwiegen beinhaltet. Seit einem Jahr bieten wir diese Unterstützung für bisher knapp 30 Euro an. NIEMAND hat sie bisher genutzt..... Ich bin offensichtlich ein schlechter Verkäufer. 
  • Wenn mehrere  Personen in einem Haushalt leben und die Tiere füttern, aber nur eine in meiner Sprechstunde ist, habe ich vielleicht den falschen Ansprechpartner  vor der Nase? Dann würden alle meine Bemühungen einfach ins Leere gehen. Falsche Adresse, Botschaft nicht angekommen.... Vielleicht bringen Sie zum nächsten Termin Unterstützung mit? Ich würde mich freuen!

Sie sehen, ich mache mir Gedanken. Um das Wohl meiner Patienten, um die Qualität meiner Arbeit und um die Verhaltensweisen von Tierbesitzern. Zu einer erfolgreichen Therapie gehören nämlich immer Tier, Tierbesitzer und Tierarzt*in. Das erfolgreichste Konzept sehe ich immer noch im Miteinander. Meine Praxismitarbeiter und ich würden uns riesig freuen, wenn Sie (falls Ihr Tier betroffen ist) auf uns zukommen und wir Ihnen helfen dürfen. Konsequenz und Durchhaltevermögen sind unerlässlich und es tut gut, ab und zu externe Motivation zu erfahren - damit können wir dienen!

 

Respektvoll

Dr. Felicia Spreyer

 

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